Wie man Menschen, die auf der Straße leben, helfen kann - ein Gespräch mit Streetworkerin Josiane Beyer

07.03.24, 09:22
Nina Louis

Josiane Beyer arbeitet seit vielen Jahren im Bereich Wohnungslosenhilfe und ist seit zwei Jahren Streetworkerin beim Caritasverband Düsseldorf. Die Sozialarbeiterin ist ihrem Arbeitsalltag viel unterwegs, um Menschen, die auf der Straße leben, zu beraten und zu unterstützen.

In allen verfügbaren Statistiken steigen die Zahlen wohnungsloser Menschen. Das zeigt auch das Ergebnis der diesjährigen Nachzählung in Düsseldorf. Betroffen sind in NRW 6000 Menschen – mehr als 700 von ihnen in Düsseldorf. Auch im März ist es noch wichtig, Schlafsäcke, warme Kleidung und heiße Getränke auszugeben. Temperaturschwankungen und Nässe machen eine Überlebenschance auf der Straße unberechenbar. Besonders schlimm ist die Kombination aus Kälte und nasser Kleidung, die ein ohnehin schon schwaches Immunsystem zum Kippen bringen kann.  

Josiane Beyer arbeitet seit vielen Jahren im Bereich Wohnungslosenhilfe und ist seit zwei Jahren Streetworkerin beim Caritasverband Düsseldorf. Die Sozialarbeiterin ist ihrem Arbeitsalltag viel unterwegs, um Menschen, die auf der Straße leben, zu beraten und zu unterstützen. Sie weiß aus Erfahrung: Bereits kleine Taten können einen entscheidenden Unterschied machen. Im nachfolgenden Interview erklärt uns die engagierte Streetworkerin, wie jede:r Einzelne auf einfache Weise dazu beitragen kann.

Frau Beyer, kann man wirklich als Außenstehende:r helfen? Haben Sie konkrete Empfehlungen, was zu tun ist, wenn man einen Menschen auf der Straße sieht?
Ja, wirklich jede:r kann mit geringem Aufwand helfen und etwas bewirken. Das Wichtigste ist, den Blick nicht abzuwenden und den Mut aufzubringen, aktiv zu werden. In erster Linie bedarf es keiner großen Anstrengung – einfache Kommunikation ist der Schlüssel für eine solche Situation. Man kann die betroffene Person freundlich ansprechen und fragen, ob alles in Ordnung ist oder ob sie etwas benötigt. Das, was man bei jedem anderen Menschen tun würde, wenn man denkt, dass Hilfe angebracht ist, gilt auch hier. Solidarität ist dabei entscheidend. Die Kommunikation sollte stets auf Augenhöhe erfolgen. Wenn die Betroffene Person die Hilfe ablehnt, dann gilt dies natürlich zu akzeptieren und ihr Raum zu lassen. 

Wie beeinflusst die Witterung die Situation von Obdachlosen Menschen? Welche Gefahren sehen sie?
Die Kälte stellt natürlich einen weiteren zusätzlicher Belastungsfaktor für die Betroffenen dar. Ihre ohnehin schon schwierige Situation wird durch Kälte und Nässe oder starke  Temperaturschwankungen noch verschärft. Schon ab zehn Grad in Verbindung mit Nässe oder anderen widrigen Wetterbedingungen besteht die ernsthafte Gefahr der Unterkühlung, die bei anhaltenden Bedingungen sogar zum Tod führen kann. Viele Obdachlose legen am Tag mehr als zehn Kilometer zu Fuß zurück – um sich mit dem Nötigsten zu versorgen, aber auch um sich warmzuhalten. Anzeichen für eine Unterkühlung können eine nicht ansprechbare, langsam sprechende oder benommene Person sein. In einem solchen Fall sollte sofort ein Rettungswagen (112) gerufen werden. Hier gilt: besser einmal zu viel, als zu wenig – Sicherheit geht vor! 

Welche Anlaufstellen stehen obdachlosen Menschen in Düsseldorf zur Verfügung? Wie sieht das Hilfsnetz aus?
In Düsseldorf gibt es eine ganze Reihe von Anlaufstellen verschiedener Träger. Ein eng vernetztes Kooperationssystem ermöglicht uns eine effektive Zusammenarbeit. Zu jeder Jahreszeit sind Streetworker:innen unterwegs, um  Betroffene aufzufinden und über verfügbare Hilfsangebote zu informieren. In extremen Wettersituationen werden die Zeiten nochmal ausgeweitet und wir sind zum Teil auch nachts unterwegs. Die Palette der Unterstützungsmöglichkeiten ist vielfältig und umfasst Anlaufstellen für warme Mahlzeiten, Essensausgaben, Kleiderausgaben, Tagesstätten und Notschlafstellen. In speziellen Fällen begleiten Streetworker:innen die Menschen zu diesen Einrichtungen oder bringen sie dorthin. Ein Beispiel ist unsere Beratungsstelle der Caritas auf der Oststraße 40, Telefon 0211 1602 2210. Diese bietet auch Postadressen für Wohnungslose an – denn ohne Postadresse ist es auch nicht möglich, Sozialleistungen zu erhalten. Nicht zuletzt ist der "Gute Nacht Bus" zu erwähnen, der täglich von 23 bis 1 Uhr morgens unterwegs ist und Menschen mit Kleidung und Essen versorgt.

Gibt es eine Art Notfalltelefon? Wo erhält man eine Auskunft bei Fragen?
Bei auftretenden Fragen können Düsseldorfer:innen das Streetworktelefon nutzen. Das ist ein Angebot des Streetworkverbundes der Stadt, einem Zusammenschluss von insgesamt 18 Streetworker:innen unterschiedlicher Träger. Diese Nummer ist rund um die Uhr besetzt, und Expert:innen stehen bereit, Fragen zu beantworten und Auskünfte zu geben. Das Streetworktelefon hat die Nummer  0211/60283500 zu erreichen. Die Nummer wird von den franz freunden bedient, die mit uns gemeinsam im Bereich Streetwork unterwegs sind. 

Gibt es auch Angebote zur medizinischen Versorgung? 
Der Verein Medizinische Hilfe für Wohnungslose Düsseldorf e.V. hat eine Praxis auf der Neusser Straße 35. Ehrenamtliche Ärzte, die dort tätig sind, bieten mehrere Sprechstunden für obdachlose Menschen an. Die Telefonnummer lautet 0211/31606140. Viele Obdachlose haben offene Wunden und Abszesse, die durch den Mangel an allem gar nicht heilen. Menschen, die keine Sozialleistungen beziehen, sind meist auch nicht krankenversichert. Es gibt auch viele alte Menschen, die auf der Straße leben. 

Was gilt für Spenden? 
Es kommt ganz darauf an – überlegte Spenden sind sehr gut. Es ist ratsam, nicht einfach wahllos Gegenstände zu spenden. Oftmals kaufen Menschen spontan ein Brötchen für eine Person auf der Straße, ohne zu wissen, ob diese bereits von anderen Personen versorgt wurde und möglicherweise keinen Bedarf hat. Oder um ein anderes Beispiel zu nennen: Man spendet einen Schlafsack, den man nicht benötigt. Das Problem dabei ist, dass die Schlafsäcke oft für derartige Witterungsbedingungen gar nicht geeignet sind. Eine bessere Herangehensweise ist das Nachfragen, was wirklich benötigt wird. Man kann aber auch Organisationen, die gezielt in diesem Bereich tätig sind, unterstützen – diese kümmern sich dann um die Anschaffung notweniger Dinge und die Verteilung. Eine stets sinnvolle Option sind Gutscheine von Lebensmittelgeschäften oder Bekleidungsläden, mit denen die betroffenen Menschen selbstbestimmt einkaufen können.

Foto: Quelle Canva/ RossHelen